08. Februar 2019

Die Nürnberger Prozesse

Als sich das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte schloss, öffnete sich das Kapitel des Konferenzdolmetschens und ein Meilenstein für eine neue Form des internationalen Dialogs wurde gelegt.

Die Geburtsstunde des Konferenzdolmetschens

Jeder kennt die Bilder des Justizpalasts in Nürnberg, in dem zwischen 1945 und 1949 die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wurden. Die ganze Welt beobachtete diesen Prozess über viele Jahre hinweg und doch wissen viele über die Art und Weise, wie miteinander kommuniziert wurde, recht wenig.

 

In der Tat waren es Simultandolmetscher, die eine reibungslose Kommunikation in der Geburtsstunde des internationalen Völkerstrafrechts ermöglicht haben – und das, obwohl diese Art des Dolmetschens bis dato praktisch unbekannt war.

 

Der gemeinnützige Verein „Konferenzdolmetschen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft e. V.“ bestehend aus Mitgliedern der aiic hat sich dieses Themas auf kreative Art und Weise angenommen. In seiner Wanderausstellung „Ein Prozess – Vier Sprachen“ gibt er Einblicke in das Simultandolmetschen während der Prozesse und stellt die Persönlichkeiten vor, die hinter den Scheiben die Kommunikation in den vier Verhandlungssprachen (Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch) ermöglichten. Mittels verschiedener Medien werden die Lebensgeschichten der Dolmetscher und wie sie zu dieser Mammutaufgabe kamen erzählt; so erfährt man z.B. über die Tagebücher einiger Dolmetscher mehr über den Alltag ihrer herausfordernden Tätigkeit.

 

Wie kam es dazu, dass die Prozesse simultan gedolmetscht wurden?

Vor dem wohl berühmtesten Gerichtsverfahren der Geschichte wurde konsekutiv gedolmetscht, der Dolmetscher übersetzte also das Gesagte der Parteien zeitversetzt. Mit vier Hauptanklagepunkten, 236 Zeugen, und 24 zentralen Akteuren der NS-Zeit sollte das Verfahren an 281 Verhandlungstagen allerdings möglichst schnell und fair vonstattengehen. Bei einer konsekutiven Verdolmetschung hätte sich die Verhandlung enorm verlängert, was nicht im Interesse der Alliierten war.

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Die meisten Dolmetscher waren blutjung und wurden durch die Kriegswirren in diese Position gewirbelt - ehemalige Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg, Mitglieder der französischen Résistance und sogar eine ehemalige KZ-Insassin. Viele von ihnen waren deutsche oder österreichische Juden, die ins Exil gehen mussten und nun in amerikanischer oder britischer Uniform zurückkehrten. Sie alle waren in irgendeiner Form Opfer der Nazis, daher stellte der Prozess eine besondere psychische Belastung für sie dar. Einige hatten vor dem Prozess für die alliierten Nachrichtendienste gearbeitet, andere waren bereits als (Konsekutiv-)Dolmetscher und Übersetzer tätig.

 

Hinzu kam die bis dato für das Dolmetschen noch wenig ausgereifte Technik, die von der Firma IBM zur Verfügung gestellt und damals „Speech Translator“ genannt wurde. Das eiligst zusammengebastelte System war sehr störungsanfällig und sorgte für zahlreiche Unterbrechungen. Drei Dolmetscher pro Zielsprache besetzten je eine Dolmetschkabine, die (im Gegensatz zu den schalldichten Kabinen heute) nur verglast und nach oben offen waren. Die Dolmetscher hatten damals aber noch die Möglichkeit, dem Gericht mit verschiedenen Lichtsignalen mitzuteilen, dass diese deutlicher oder langsamer sprechen, eine Passage wiederholen oder die Rede unterbrechen sollten. Aber dies minderte keineswegs den enormen Druck, dem diese Pioniere des Berufsstandes ausgesetzt waren, da jedes Wort, jede Nuance präzise in die anderen Sprachen übertragen werden musste.

 

Dank der Dolmetscher konnten die Nürnberger Prozesse in „nur“ 281 Verhandlungstagen abgeschlossen werden, was mit einer konsekutiven Verdolmetschung nicht möglich gewesen wäre. Somit gelten die Prozesse als Geburtsstunde des Simultandolmetschens und haben für das heutige Konferenzdolmetschen, welches Kommunikation in Echtzeit zwischen vielen verschiedensprachigen Parteien ermöglicht. den Grundstein gelegt.

 

Der Verein „Konferenzdolmetschen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft e. V.“ arbeitet weiterhin an diesem Projekt, um noch mehr der damaligen Dolmetscher und ihrer Geschichte ausfindig zu machen. Die Wanderausstellung reflektiert jeweils den Stand der Forschung und wird sicherlich noch um einige Exponate erweitert. Falls Sie neugierig auf diese spannende Ausstellung geworden sind, schauen Sie doch bei einer der nächsten Stationen vorbei.

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